„Der Markt wird sich wieder drehen“

Über aktuelle Entwicklungen an den Kapitalmärkten und was Anlegerinnen und Anleger 2023 erwartet

Viele Anlegerinnen und Anleger haben heuer starke Verluste hinnehmen müssen, wenn sie an den Kapitalmärkten nicht gerade in die Energie-, Rüstungs- oder Tabakindustrie investiert waren. Wie hat sich das Jahr aus Ihrer Sicht dargestellt?

Das Besondere am heurigen – und im Übrigen auch am vergangenen – Jahr war der Gleichlauf von Aktien und Anleihen. Das heißt, dass die Wertentwicklungen beider Assetklassen parallel verlaufen sind. Im vergangenen Jahr ist beides gestiegen und heuer beides gefallen, und zwar dramatisch. Anleihen, aber auch breite Anleiheindices sind teilweise 15 Prozent im Minus. Dass Anleihen dermaßen viel verlieren, das hat es in der Geschichte – zumindest in den letzten 30 Jahren – noch nicht gegeben. Aber auch Aktien sind massiv gefallen – teilweise 20 Prozent und mehr. Dass diese beiden Anlageklassen nicht diversifizieren, ist schon sehr ungewöhnlich. Üblich ist, dass Anleihen profitieren, wenn Aktien fallen. Die – mehr oder weniger – einzige Währung, die sich heuer gut entwickelt hat, ist der US-Dollar. Dieser hat gegenüber dem Euro stark zugelegt. Es hat sich wieder einmal bestätigt, dass der US-Dollar eine Krisenwährung ist, wenn Unsicherheit am Markt herrscht, wird Kapital in den Dollar umgeschichtet.

Einige Branchen konnten sehr stark vom Krieg profitieren …

Ja, Branchen, in die wir in unseren nachhaltig ausgerichteten Fondsprodukten ganz bewusst nicht investieren. Die Öl- und Gasknappheit durch den Angriffskrieg in der Ukraine hat die Preise für diese Produkte in die Höhe schnellen lassen. Im Rohstoffbereich sind daher Energiethemen sehr gut gelaufen. Der Gaspreis hat sich verzigfacht. Und mit diesem mitlaufend sind auch die Preise für Strom und Öl nach oben gegangen. Auch im Agrarbereich ist es zu massiven Preissteigerungen aufgrund von Ausfällen von Lebensmitteltransporten aus der Ukraine nach Nordafrika, aber auch nach Europa, gekommen. Doch die Spekulation auf Lebensmittel ist ebenfalls kein Tätigkeitsbereich für nachhaltige Investorinnen und Investoren, und das ist auch gut so.

Was die finanzielle Rendite betrifft, hatten nachhaltige Geldanlagen heuer also das Nachsehen?

In diesem besonderen Jahr, bezogen auf die rein finanzielle Rendite, schon. Davor aber haben sie jahrelang genau davon profitiert, nicht in diese schmutzigen Branchen investiert zu sein. Die Öl- und Gasbranche hat seit Jahresbeginn rund 50 Prozent zugelegt – das ist viel, wenn der restliche Markt mit rund 20 Prozent im Minus ist. Auch der Verteidigungssektor hat um die 10 Prozent zugelegt, ebenfalls kein klassisches Thema für nachhaltige Fondsprodukte. Ein dritter Bereich ist die Tabakindustrie, bei der ein Plus von 15 Prozent zu Buche steht. Somit ist klar, dass sich nachhaltige Fonds in dem Umfeld nicht so gut entwickeln konnten, aber wir sind langfristig ausgerichtet und bleiben unserer Linie treu. Glaubwürdig zu sein, ist uns wichtig. Wir sind überzeugt, dass sich der Markt wieder drehen wird.

märkteunteruns

Hier finden Sie einen aktuellen monatlichen Ausblick mit Infos zum Marktumfeld, Asset Allocation und Kennzahlen.

In Anbetracht der politischen Anstrengungen der EU, sich aus der Abhängigkeit von russischem Gas zu lösen, müssten Titel rund um erneuerbare Energien boomen. Ist das so?

Die Branche ist genauso abgestraft worden wie der gesamte Markt. Hier gibt es viele kleine und mittelgroße Unternehmen, die von den Zinserhöhungen der Notenbanken besonders betroffen sind, da so ihre alten und neuen Schulden immer teurer werden. Hinzu kommt, dass die Anbieterinnen und Anbieter für erneuerbare Energien – Windkraft-, Solarkraft-, Panelerzeugerinnen und erzeuger etc. – in den letzten Jahren extrem profitiert haben und teilweise schon sehr teuer bewertet waren. Diese hohen Preise haben sich nun wieder auf niedrigeren Niveaus eingependelt. Doch im Verhältnis zu anderen Branchen, hat sich dieses Segment mit einem Minus von 6 Prozent gut gehalten. Das ist zwar auch ein Minus, aber es gibt Branchen, die noch weit mehr betroffen waren. Auch andere Sektoren konnten sich vergleichsweise gut halten, wie Health Care oder Infrastruktur, um hier zwei Beispiele zu nennen.

Werden diese starken Verluste als Kaufgelegenheiten gesehen?

Das ist eine Frage der Perspektive. Auf mittelfristige Sicht, bei einer Behaltedauer von 7 bis 10 Jahren bei Aktien, sind die Preise durchaus attraktiv. Ob die Erholung schon im kommenden Jahr einsetzen wird, ist allerdings ungewiss. Aber wenn man sich die KGVs, also die Kurs-Gewinn-Verhältnisse, der Titel im Aktienindex MSCI-World ansieht, dann sind wir jetzt wieder deutlich unter dem langen Schnitt. Aber das KGV besteht eben aus zwei Teilen: Kurs und Gewinn. D. h. wenn die Gewinne deutlich nachgeben, steigt das KGV, ohne dass der Kurs etwas tun muss. Man muss da sehr genau auf die einzelnen Titel schauen und das ist momentan das Schwierige, weil manche Titel abgestraft werden, ohne, dass schlechte Meldungen dahinterstehen.

Welche Risiken würden die Märkte nochmals stark belasten?

Was Europa betrifft, wäre das eine weitere Verknappung der Energierohstoffe – beispielsweise aufgrund weiterer Sabotagen. Das wäre nochmals eine neue Dimension. Auch die Ausweitung des Kriegs in der Ukraine auf andere Länder hätte massive Auswirkungen – auch das ist ein stark europäisches Thema. Darüber hinaus dürfen wir die Ernährungskrise nicht aus den Augen verlieren. Aus den davon betroffenen Ländern Nordafrikas könnte die Migration weiter steigen und in weiterer Folge zu sozialem Unfrieden führen.

Newsletter abonnieren

Sie möchten regelmäßig einen schnellen und kompakter Überblick über das internationale Kapitalmarktgeschehen? Melden Sie sich jetzt zu unserem monatlichen märkteunteruns Newsletter an!

Was können Anlegerinnen und Anleger vom Kapitalmarktjahr 2023 erwarten?

Ich gehe davon aus, dass 2023 zumindest für die Anleihen wieder ein freundlicheres Jahr wird, weil wir einerseits durch die Rendite- und Zinsanstiege eine bessere Basis haben, als wir das in der Vergangenheit hatten. Außerdem befürchte ich, dass die Notenbanken im Kampf gegen die hohe Inflation überschießen, dass sie zu viel machen und zurückrudern müssen. Das heißt, dass sich die Wirtschaft abschwächt, aber eine abschwächende Wirtschaft unterstützt die Rentenmärkte. Auch für Aktien kann es am Ende ein freundliches Jahr werden – es hängt viel vom Umfeld und dem Pfad der Notenbanken ab. Aber ich bin zumindest verhalten positiv, was Aktien betrifft. Zumindest im zweiten Halbjahr sollten wir eine positive Entwicklung sehen.

Und branchenseitig?

Infrastruktur könnte ein starkes Anlagethema werden, weil Infrastruktur in allen Bereichen aufgebaut wird: sowohl in Hinblick auf klassische Bauprojekte, aber auch im technischen Bereich – neue Netze für die Telekommunikation, größere Bandbreiten etc. Die IT-Branche wird die nächsten Jahrzehnte bestimmen. Und dann natürlich – branchenübergreifend – Nachhaltigkeit. Der jungen Generation ist Nachhaltigkeit sehr wichtig und alle Unternehmen, die die Welt nachhaltiger machen, sei es durch Klimaschutz, Artenerhalt oder Ernährung und Gesundheit, werden profitieren.

Wie schafft man es als Fondsgesellschaft, den massiven Veränderungen unserer Zeit mit adäquaten, in die Zukunft gerichteten Entscheidungen zu begegnen?

Man muss die Dynamik mitmachen und den Markt gut kennen. Wir haben vor rund anderthalb Jahren Zukunftsthemen, wie Energiewende, Infrastruktur, Kreislaufwirtschaft, Rohstoffe usw., definiert und interdisziplinäre Teams installiert, die sich mit den jeweils einzelnen Themen ganz intensiv beschäftigen und ihr Wissen dann untereinander austauschen. Dadurch haben wir sehr viel Know-how zu den einzelnen Inhalten aufgebaut, verstehen aber auch noch klarer, wie sie zusammenhängen. Dieses Wissen setzen wir bei unseren Investmententscheidungen ein und leiten daraus Policies und Produktideen ab, von denen wir im Sinne der Nachhaltigkeit voll und ganz überzeugt sind. Vor wenigen Wochen haben wir von der Ratingagentur Scope eine AAA-Bewertung für die exzellente Qualität und Kompetenz beim Management nachhaltiger Fondsstrategien erhalten. Wir betreiben sehr viel Aufwand und machen es uns nicht leicht, dafür sind wir aber auch glaubwürdig in dem, was wir tun.

Ingrid Szeiler, Raiffeisen Capital Management

Dieser Inhalt ist nur für institutionelle Anlegerinnen und Anleger vorgesehen.

Zu unseren Themen